Kleine Chronik über die Knabenschaft Maienfeld
(aus der Festschrift des 50 jährigen Jubiläums 1994, auf der St. Luzisteig)
Gründer erinnern sich
1. von Fritz Tanner
Ein kurzes Wort zu diesem Heft .
Ein Festführer führt durch ein bestimmtes Fest. Darum heisst er Festführer. Unser Fest findet hier und heute statt. Ich soll aber die Anfänge der Knabenschaft (kurz genannt KSM) schildern. So lautet der Auftrag der Festveranstalter an mich. Ihr Wunsch ist begreiflich. Ohne einen Beginn gibt es in nichts eine Fortsetzung. Und ich war fast am Beginn schon dabei. Somit kann ich, geschwollen gesagt, als eine Art Urquelle gelten. Logischerweise soll nach dem Willen der Organisatoren diese Quelle heute als erste aufsprudeln. Gut! Aber, liebe Leserin, liebe Leser, Geschichte ist in der Schule für die meisten kein Lieblingsfach. Sie gehört zu den langweiligen Pflichtstunden, die laut Programm offenbar absolviert werden müssen. Im Allgemeinen berührt uns die Vergangenheit wenig. Was zählt, ist die Gegenwart und dann der Blick in die Zukunft. Deshalb gestatte auch ich es mir, einen Augenblick in ihr, im Heute und Hier zu verweilen. Ich muss es aus drei Gründen tun: weil ich staune, weil ich mich freue und weil ich danken möchte.
Erstaunt bin ich darüber, dass wir dieses Jubiläum überhaupt feiern können. Das ist in unserer schnelllebigen Epoche nicht selbstverständlich. Es ist jedoch eine Tatsache. Und sie macht meine besondere Freude aus. Sie heisst mich denn auch, denen, die sie und meine Freude bewirken, herzlich zu danken. Im Namen der Begründer drücke ich den Bewahrern die Hand. Nun aber will ich der Aufgabe meines Mandats nachkommen.
„Weisch no?“
Ein grosser Erzähler hat geschrieben: "Tief ist der Brunnen der Vergangenheit." Keine Angst! Ich werde nicht bis in die tiefsten Tiefen hinabsteigen. Adam und Eva, auch Wilhelm Tell und Jürg Jenatsch lasse ich aus. Anderseits reichen alle Anfänge immer viel weiter zurück, als bis zum offiziellen Geburtstag. Bevor geboren werden kann, muss gezeugt werden. Das gilt auch für die Entstehung der KSM. Zur Zeugung menschlichen Lebens braucht es einen Mann und eine Frau. Zur Zeugung einer Idee kann eine Frau allein oder ein Mann allein durchaus genügen. In unserem Fall waren es zufällig allerdings gerade auch wieder zwei, zwei gleichgeschlechtliche natürlich, die gleichzeitig den Gedanken an die Gründung einer Knabenschaft hatten und einander davon sprachen. Als beauftragter KSM-Forscher hatte ich das seltene grosse Glück, die beiden historischen Persönlichkeiten noch eben zu wissen und sogar mit ihnen befreundet zu sein. So konnte ich sie spontan interviewen:
"Weisch no, wenn, wo und wia Eueri Idee entstanda isch?"
Das war natürlich das Erste, was ich jeden von den beiden einzeln fragte. Die Frage ging einerseits an meinen Altersgenossen Christian Kuoni-Niederer, anderseits an Christi Schnell Rehli, den ich damals, weil er drei Jahre älter und weiser war, als ich, eher nur flüchtig von ferne kannte. "Weisch no?" Genau wusste es keiner von beiden mehr, was mir eine exakte Forschungsarbeit nicht unbedingt leicht machte. Immerhin: eine wichtige Übereinstimmung konnten sie mir bieten. Es müsse zwischen 1942 und 43 gewesen sein. Auch was den Ort des Geschehens betraf, entstand zwischen ihnen keine Meinungsverschiedenheit. "Thusis", sagten sie. Zusammen waren sie kaufmännisch dort angestellt. Es muss sich bei beiden um Heimwehmaienfelder gehandelt haben. Denn, als sie die Knabenschaft des Heinzenbergs kennenlernten, verpflanzten sie sie sofort nach Hause.
"Das müssen wir auch machen, wenn wir wieder zurück sind!"
Ei oder Huhn?
Was war zuerst da? Die viel diskutierte Philosophenfrage bringt uns nicht weiter. Für den Zusammenhang unseres Themas steht eines fest: Die von den zwei Christianen entdeckte Thusner Einrichtung war für Maienfeld nicht völlig neu. Mein Vater z.B., 1892 hier geboren, gehörte als Lediger bereits einer Jungmännervereinigung an, mein "Ehni", ein 1852iger wahrscheinlich auch. Schriftliche Beweise in Form von Satzungen oder Protokollen kann ich dafür nicht erbringen. Doch erzählten mir Vater und Grossvater von ihren regelmässigen Zusammenkünften, sogar in einer Knabenstube und dass sie Bräuche wie das Kranzen, Kettenspannen, das Alp- und das Zusammenschellen gepflegt hätten. Wie das nun immer gewesen sein mag, eine Art Knabenschaft hat es ohne Frage längst vor der unsrigen schon gegeben. Diese Tatsache mindert das Verdienst der zwei von mir interviewten "Gründerväter" in keiner Weise. Sie brachten "aus der Fremde" die schöne Idee nicht nur heim; sie schritten entschlossen und tatkräftig auch zu ihrer Verwirklichung. Aber auf meine wiederholte konkrete Frage: "Weisch no wia?" wussten beide keine ganze genaue Antwort zu geben.
Soviel ich weiss...
Auch mein Gedächtnis weist grosse Lücken auf. Der Gründungsversammlung vom 26. Januar 1944 gingen vermutlich zahlreiche Vorbereitungssitzungen voraus. Ich war an keiner dabei. Sonst würde ich es bestimmt noch wissen. Somit muss ich annehmen, dass sich mein erster Kontakt mit der in den Statuten bereits bestehenden KSM an der besagten Zusammenkunft auf dem Rathaus ergab. Soviel weiss ich, war neben dem dort zum ersten Präsident gewählten Christian Schnell vorher unser späterer Regierungsrat Tobias Kuoni massgeblich an der Abfassung der Satzungen beteiligt gewesen. Woran ich mich jedoch noch deutlich erinnere: an Christis erklärende Einführungsrede:
„Jeder ledige Bursche unseres Städtchens sei zum Mitmachen eingeladen. Falls einer es aus materiellen Gründen nicht vermöge, könne ihm der Mitgliederbeitrag von Fr. 2.-, in Worten: zwei Franken, erlassen werden. Auch irgendeine körperliche Behinderung schliesse niemanden aus!“
Das hört sich für mich, der damals schon blind war, gut an. Überhaupt war die Ansprache von viel Humanismus und Idealismus geprägt. Es gelte, Bewahrenswertes vor dem Untergehen zu schützen und gerade in einer so flüchtigen, alles in Frage stellenden Zeit "wie der unsrigen" mit neuem Leben zu füllen.
Dann wurde die "Präsidialadresse an das Maienfelder Jungvolk" direkt staatsmännisch. Die ehernen christlichen Grundpfeiler unserer Demokratie, sagte Christi, müssten in unserem heimischen Grund und Boden fest verankert werden. Vielleicht brauchte der Präsident nicht
ganz diese Worte - ein Versammlungsprotokoll fehlt - aber so ungefähr klangen die Ausführungen aus. Was ich auch noch sicher weiss, ist das Folgende:
Es war Krieg
Und uns war "die Gnade der späten Geburt" nicht geschenkt. Viele Maienfelder Jungmänner leisteten, wie zehntausende junger Schweizer bereits Aktivdienst. Viele andere hatten sich darauf gefasst zu machen. Im Mai 1940 wäre unser Städtchen beinahe evakuiert worden. Während wir die Knabenschaft gründeten, waren nachts die Gassen verdunkelt. Was morgen sein würde oder doch sein könnte, wusste man nicht. Diese unsere damalige Situation muss gesehen werden, wenn die heute Aktiven der KSM Rückschau auf die Anfänge halten. Nur so lassen sich unsere hochgesteckten und, wie z.B. in dem von mir getexteten Knabenschaftslied pathetisch überschwänglich formulierten Zielsetzungen ohne Lächeln verstehen: "Wirke das Gute und halte Dich jung!“ Wir wollten es. Wie weit es uns gelang, bleibt offen. Die Gründer sind alt geworden, die KSM nicht. Das ist es, was wir mit grosser Genugtuung registrieren. Dokumente aus der Gründerzeit sind spärlich vorhanden. Der Geist, der sich in den wenigen zeigt, lebt unter den Jungen unseres Städtchens in gesunder Weise verjüngt fort. Mehr ist für ein nächstes Jubiläum in fünfzig Jahren nicht nötig.
Gezeichnet Fritz Tanner
2. von Konrad Kuoni
Die Knabenschaft Maienfeld von 1947-1950
Ich wurde im Oktober 1946 unter der Bundeslinde als Nachfolger von Christian Schnell zum Präsidenten gewählt. Mein Vorgänger zog dann ins Welschland. Mit Brief vom 29.1.47 schrieb er mir u.a. folgendes: "An einem strahlenden Oktobertag, wie er schöner nicht hätte sein können und der mir unvergesslich sein wird, hast Du die Führung dieser Schar übernommen. Es ist ein raues und ungehobeltes, aber, trotzdem dass es Drückeberger und Querköpfe darunter hat, ein lebendiges und gesundes Holz, das Dir zur Bearbeitung anvertraut ist. Es geht darum, es recht anzupacken und seinen Tatendrang in die richtigen Bahnen zu lenken".
In meinem Jahresbericht von 1947 führte ich u.a.: "Diese Mal sitzen wir nicht, wie anlässlich der letzten Generalversammlung, draussen inmitten der Herbstpracht, sondern im engen, düsteren, in Rauch gehüllten Rathausstübchen. Wie nett und unvergesslich war es für mich, als wir damals unter der Bundeslinde versammelt waren und uns fragten, ob wir auch dieses Jahr einen Schritt weiter gekommen seien...“
Die Beantwortung dieser Frage muss schlussendlich doch jedem selbst überlassen werden. Es sei lediglich festgestellt, dass sich die KSM auch dieses Jahr trotz verschiedener Krisenerscheinungen aufrechterhalten hat und dass sie sich auch dieses Jahr eingesetzt hat im Bewusstsein, nur für das Gute, Grosse und Wahre einzustehen.
Immer wieder suchte man ein geeignetes Lokal als Knabenstube. Dieses Vorhaben konnte unter meiner Präsidialzeit nicht verwirklicht werden.
"Unsere Bibliothek ist im letzten Jahr sehr wenig benützt worden. Möge sich jeder von uns einmal die Mühe nehmen, nach einem guten und wertvollen Buche zu greifen, um zu lernen, das Unvergängliche und Grosse vom Kitsch zu unterscheiden!“
Der Jahresbericht 1947 schliesst: “Möge uns auch dieses Jahr die Kraft geschenkt werden, die es braucht, für die hohen Ziele einzustehen und zu kämpfen. Unsere Mühe und Arbeit wird einst belohnt werden.
Frischen Muts vorangeschritten,
Ist der Weg auch rau und hart;
Rein gestrebt und brav gelitten,
Das ist gute Lebensart."
Die Art und Weise, wie in Maienfeld die 1. Augustfeier durchgeführt wurde, war uns schon lange ein Dorn im Auge. Am 17. Juni 1948 richtete die KSM ein Schreiben betr. Reorganisation der 1. Augustfeier an den Stadtpräsidenten und an die Präsidenten der hiesigen Vereine. Die KSM ging von der Erkenntnis aus, dass es im Jubiläumsjahr unserer Bundesverfassung unbedingt notwendig sei, diesen Anlass auch in unserer Gemeinde zu einer besinnlichen, alle Glieder erfassenden Feier zu gestalten. Auch hier stiess unser Vorhaben auf fruchtbaren Boden. Ein engeres Komitee, bestehend aus Ratsherr Andreas Mutzner-Hassler als Vertreter der Behörde, F. Tanner, L. Lipp, J. Conrad und mir (die 4 Letztgenannten waren Mitglieder der KSM) übernahm die Organisation der Feier des 1. August 1948.
"Der festliche Umzug, die gediegene Feier im Städtli mit der Ansprache unseres Mitgliedes Fritz Tanner und die Jungbürgeraufnahme, legten ein erfreuliches Zeugnis jugendlicher Unternehmungslust ab. Chr. Komminoth, Gyrchef, war für das Feuer auf dem Gyr besorgt.
Am 3. Januar fand die Knabengastung statt. Ein reichhaltiges Programm und eine gute Propaganda schufen alle Voraussetzungen für ein prächtiges Gelingen des Abends. Von der Besucherzahl her wurden alle unsere Erwartungen übertroffen. Der grosse Saal im Schloss Brandis war viel zu klein, und viele mussten wohl oder übel wieder umkehren. Der EishockeyMatch, die Nachrichten, Wienerwalzer des eigenen Orchesters, die Tenorsoli, das Quartett usw. seien nur nebenbei erwähnt! Auch in dieser Hinsicht durfte sich unsere Knabenschaft in der Reihe unserer Ortsvereine sehen lassen. In der Presse hiess es denn auch von unserer Gastung: "dass mancher Pessimist gestehen müsse, die heutige Jungend habe auch noch Ideale“.
Am Jahresanfang 1950 gelangte Frau B. Harlacher, Eigentümerin des Guschaheims auf der Guscha, mit der Frage an mich, ob die KSM bereit wäre, das Guschaheim mietweise zu übernehmen. Auch hier hatten wir sofort eine Lösung zur Hand. Leonhard (Liehi) Lipp, damals Rekonvaleszent, war bereit, mit Unterstützung der KSM das Angebot anzunehmen. Im Laufe des Frühlings zog er auf die Guscha und amtete von nun an als Wirt im Guschaheim. Es ist verständlich, dass sich von nun an die internen Aktivitäten vor allem auf die Guscha verlegten. Mit Ross und Wagen versorgten wir, je nach Bedarf, unseren Kameraden auf der Gusche mit Speis und Trank. Bemerkenswert ist, dass am 2. Juli 1950 der erste eigentliche Guschatag stattfand. In der “Neuen Bündner Zeitung“ von 6.Juli 1950 wurde dieser erste Guschatag u.a. wie folgt kommentiert:
„So trug der Guschataq von 2. Juli den Stempel von Tradition und Bodenständigkeit. Organisiert von der Maienfelder Knabenschaft, einer der wenigen noch wirklich aktiven Knabenschaften unseres Kantons, durfte der Tag allen Teilnehmern zu einen beglückenden Erlebnis werden. Die Festlichkeiten nahmen am Sonntagvormittag mit einer Predigt auf den Büal ihren Anfang. Herr Pfarrer Fritz Tanner aus Maienfeld wies in anschaulichen und wirklichkeitsnahen Beispielen auf die grobe Fahrlässigkeit und Gleichgültigkeit der Gemeindeglieder für das Evangelium und die Kirche hin... Über die drückend heisse Mittagszeit zog sich die Festgemeinde zurück in die schattige Geborgenheit des
Guschaheims, um dort in fröhlicher Betriebsamkeit einen guten Maienfelder Rebensaft und einige „Guatali“ zu degustieren."
Einmal mehr war es Fritz Lendi, der aus seinen Werk "St. Luzisteiq" vorlas. Die Vorlesung gipfelte darin “stets bereit zu sein, und für die Heimat und Demokratie sein Leben in die Schanze zu schlagen.“ Jung und Alt, so schloss der Berichterstatter, genossen einen herrlichen ersten Guschatag.
In diesem Jahr verbrachten wir die Wochenenden meistens auf der Guscha. Immer wieder gab es intern Vorträge und hitzige Diskussionen. So erinnere ich mich noch an das Thema “Liberalismus und Kommunismus".
An 14. Oktober 1950 fand die Generalversammlung statt. Ich legte mein Mandat als KSMPräsident nieder. Der mir überreichte Zinnbecher mit Widmung wurde gebührend eingeweiht. Mein Nachfolger war Joos Mutzner, geb. 1931, der leider schon gestorben ist.
Gezeichnet Konrad Kuoni
3. von Emil Sulser
Erinnerungen aus der Knabenschaftszeit in den fünfziger Jahren
In Wort "Erinnerung“ sind bekanntlich viele Bedeutungen enthalten. So gibt es beispielsweise, um nur deren zwei zu nennen, gute und böse Erinnerungen. Von letzteren soll hier aber absolut nicht die Rede sein. Vielmehr so meine ich, soll es sich auf Gedenksteine zur Erinnerung an Ereignisse oder kurzweilige Geschichten aus jener Zeit beziehen. Die Vielfalt wäre sicher gross und es könnte einen verleiten, ausgereifte Geschichten, ja sogar Memoiren zu schreiben. Dies wäre hier jedoch falsch am Platze, also soll sich die Berichterstattung auf kurze Gedanken und Begebenheiten beschränken.
Mit dem jungen Knabenschäftler, 19-20-jährig, wurden damals auf eindrückliche Weise die demokratischen Spielregeln fürs Vereinsleben beigebracht. Durch die damals recht zahlreichen öffentlichen Vorträge andererseits aber auch die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten geweckt und gefördert. Die Gründungsmitglieder und deren Nachfolger waren für uns Jungen geradezu Vorbilder. Die Knabenschaft damals recht und gut 10-jähriq, verjüngte sich. Kein Grund zur Panik. Unsere Vorbilder wurden eben zur selben Zeit „flücke“. Durch Wegzug oder Heirat verliessen sie die Burschenheit und somit euch unsere Reihen. Als eine Art "zweite Generation" waren wir nun auf einmal auf uns selbst angewiesen. Es waren wenn ich mich noch recht zu erinnern vermag, etwa die Jahrgänge 1933 - 1936, die das Ruder fortan in die Hände nahmen.
Wir merkten bald einmal, dass unsere Schützlinge über unser Staatsgebilde nicht eben gut beschlagen waren. Wir schafften Abhilfe indem wir Staatsbürgerkurse einführten. Lehrer waren selbstverständlich wir Vorstandsmitglieder.
In Nachhinein die schelmische Bemerkung: Die Absolventen kannten am Schluss wenigstens unsere Bundesräte und deren Departemente sowie die Funktion der National- und Ständeräte usw.
"Wir sind jung, die Welt steht offen, oh du schöne weite Welt!“ und dann am Schluss: „aufwärts blicken, vorwärts drängen, wir sind jung und das ist schön.“ Das war unser Lied, ja man kann
sagen, unser Leitbild. Aber auch im Gesangswesen war es damals nicht aufs Beste bestellt. Kurzentschlossen mussten wir regelrechte Gesangsproben einführen. Unser Repertoire umfasste damals zwischen 15 und 20 Lieder, die wir vier- aber immerhin mehrheitlich zweistimmig an unseren "Höcken", und deren gab es viele, singen konnten.
So war es dann nicht wunderlich, dass wir an der Generalversammlung 1956 wohl schweren Herzens beschlossen, die Gastunq 1957 in den Turnhallensaal zu verlegen. Den finanziellen Aspekten nachgebend, hatten wir also die traditionelle Gastunq im Schloss Brandis, preisgeben müssen. Dieser Beschluss wurde nicht nur teils unserer Bevölkerung sondern vor allem auch von den ehemaligen Knabenschäftlern als Fehlentscheid kritisiert. Glücklicherweise war dann aber an der Gastung im neuen Lokal der Saal bin auf den letzten Platz besetzt, sodass sich die erhitzten Gemüter wieder beruhigen konnten. Nachdem wir aber vom Wirten keine Ahnung hatten, mussten wir einen Fachmann resp. Fachfrau engagieren. Unsere erste Wirtin in der neuen Umgebung war Fräulein Silvia Mutzner von der St. Luzisteiq. Mit Ihr wurde ein Sechspunkte-Vertrag abgeschlossen.
Daraus einige Rosinen:
"Der gesamte Reinerlös ist mit der KSM zu teilen, jedoch beantragt die KSM min. einen Betrag von Fr. 200.-zu Ihren Gunsten.“
Oder:
"Der KSM ist eine genaue Buchhaltung über Ein- und Ausgaben sowie eine Ein- und Ausgangsinventur vorzulegen."
Und weiter:
"Es ist der Wirtin strengstens untersagt, an KSM - Mitglieder Ess-, Trink- und Raucherwaren abzugeben ohne Vorweisung eines Bons."
Na also, waren das noch Zeiten.
Unser Versuch und gleichzeitige Premiere war geglückt. Die erste Gastung im Turnhallensaal war ein bomben Erfolg. Dia Knabenschäftler sahen sich in ihrem Entscheid, die Gastunq in den städtischen Saal zu verlegen, bestätigt. Vor allem waren unsere Theaterspieler von der Bühneneinrichtung fasziniert. Hatten Sie doch zum ersten Mal richtige Kulissen, Scheinwerfer, Beleuchtungen und vor allem genügend Platz. Zur Aufführung gelangte der Dreiakter von Stebler: „s'Kompaniekalb“ und tatsächlich hatten wir auch ein richtiges, lebendiges Kalb auf der Bühne.
Von da an herrschte wahre Theaterfreude. Sorgfältig wählten wir dann in den kommenden Jahren gute und sinnvolle Stücke aus. Ich denke dabei an „Vetterliwirtschaft“, die Wiederholung vom „Giizhals“, „A tolli Familia“ usw. Zur selben Zeit stand die Knabenschaft mit ihren guten Aufführungen in direkter Konkurrenz zum Männerchor. Jeder wollte besser sein und so spornten sie sich gegenseitig an. Nicht selten traf man später dann auch ehemalige Knabenschäftler wieder in den Reihen des Männerchores an.
Nach so viel Glück und Lob musste es kommen, wie es musste! Der Vorstand verstand sich nicht mehr. Nebst Missstimmung entstanden Ungereimtheiten, die bis zum Ausschluss von Mitgliedern führten.
Und zum ersten Mal, so glaube ich wenigstens, musste die Gastung „infolge Personalmangels" um einen Monat, d.h. auf den 1. Februar 1958, verschoben werden. Das Chaos und die Aufregung waren also perfekt. - Doch halb so schlimm. Die verspätete Gastung ging super über die Bühne und was noch wichtiger war, die Hitzköpfe söhnten sich aus und die Kollegialität war wieder hergestellt.
Zum Abschluss meiner Erinnerungen möchte ich ganz spontan zwei Strophen aus einem der vielgesungenen Lieder zitieren:
„O alte Burschenherrlichkeit ! Wohin bist du verschwunden? Nie kehrst du wieder, gold'ne Zeit, so froh und ungebunden! Vergebens spähe ich umher, ich finde deine Spur nicht mehr.“
„Drum Freunde, reichet euch die Hand, damit es sich erneure, der alte Freundschaft heil‘ges Band, das alte Band der Treue! Stosst an und hebt die Gläser hoch, die alten Burschen leben noch.“
Gezeichnet Emil Sulser